Robert Misik, den ich für seine kapitalismuskritischen, oftmals witzig-ironischen, Beiträge sehr schätze, aber leider weniger für seine undifferenzierte Haltung gegenüber den Religionen, schreibt in der heutigen Ausgabe der Wiener Stadtzeitung Falter über Heilige Bytes, über christlich-fundamentalistische Internetseiten wie kreuz.net und gloria.tv. Richtig ist die Kritik von Robert Misik an deren fundamentalistischer, vordemokratischer Haltung, aber er behauptet auch, dass diese Internetaktivitäten der Amtskirche den Rang ablaufen. Für diese Plattformen kann das ganz sicher nicht gelten, das ist eindeutig Minderheitenprogramm. Kreuz.net hat sich mit seinen Aussagen z.B. zur Homosexualität auch selbst außerhalb der katholischen Kirche katapultiert, wie Robert Misik im Verweis auf Paul Wuthe, den Leiter des Medienreferats der Österreichischen Bischofskonferenz, selbst anmerkt.
Die Frage aber, ob die Fundamentalist_innen der Amtskirche den Rang abgelaufen haben, bleibt. Wenn dann macht es aber mehr Sinn sie in Bezug auf kath.net zu stellen, eine Nachrichtenplattform mit sehr lebendigem Forum ("Nur für Katholiken"), die sich selbst als die "größte deutschsprachige katholische Internet-Community" bezeichnet. Ob das stimmt, kann ich nicht nachvollziehen, Tatsache ist aber, dass diese Website offenbar ein Sammelbecken für alle ist, die "katholisch" mit moralischer Rigidität bis hin zur Diskriminierung queerer Lebensweisen, unkritischer Rom-Hörigkeit, platter Bibelauslegung und einfachen Antworten alá dem theologisch in vielen Punkten fragwürdigen Katechismus der katholischen Kirche, dem jedenfalls die Übersetzung der Glaubensinhalte in eine heutige Welt nicht gelungen ist, verwechseln. Für Weltoffenheit, Modernität, Pluralismus, Diskursfähigkeit in der heutigen Welt ist da wenig Platz, weil die Betreiber_innen sowieso immer schon vorher die Antwort auf notwendige Fragen wissen.
Aber auch bei kath.net denke ich, dass es sich um ein Minderheitenprogramm handelt, dass keine breite Basis bei den Mitgliedern der katholischen Kirche hat, gleiches würde ich auch für Radio Maria, Radio Horeb oder K-TV behaupten. Mein Eindruck ist, das hinter diesen Angeboten eine kleine, wenn auch gut vernetzte und technisch visierte Gruppe steht.
Trotzdem bleibt die Frage von Robert Misik, denn auch wenn die Medienangebote der Fundamentalist_innen ein Minderheitenprogramm für wenige sind, ist zu fragen, was die "Amtskirche" denn zu bieten hat. Ich denke, dass die breite Mehrheit der katholischen Christ_innen bei Bedarf, z.B. weil eine Gottesdienstteilnahme aufgrund von Krankheit nicht möglich ist, sicher viel eher auf die Fernseh-und Radio-Übertragungen von Gottesdiensten im ORF zurückgreift oder sich auf religion.orf.at oder in den dazugehörigen Sendungen (die nebenbei bemerkt ein wirkliches, seltenes Highlight des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich sind) informiert. Im Internet bieten auch der Nachrichtendienst der Österreichischen Katholischen Presseagentur Kathpress oder die Webseiten der Diözesen einen guten Überblick, bei allen Diözesen finden sich neben Nachrichten auch vielfältige spirituelle Angebote. Und der Vatikan hat ja nicht nur eine Internetseite, sondern seit einigen Wochen auch einen mehrsprachigen YouTube-Channel, etwas das beispielweise auch die Katholische Kirche in Oberösterreich schon einige Zeit betriebt.
Es gibt mit dem bestehenden Webseiten eine gute Basis für die Präsenz im Internet und gleichzeitig wird nicht der Aufbau einer eigenen Video-Community betrieben (wie es kathnet mit kathtube tut und gloria.tv ist ja auch so ein Beispiel), sondern Kirche ist dort, wo die Menschen sind - und das ist eben YouTube im Videobereich. Auch wenn (noch) andere kommunikative und interaktive Formate wie Blogs, Twitter oder das Engagement in sozialen Internetnetzwerken wie Facebook fehlen, sehe ich das doch als ersten Schritt in die richtige Richtung. Wenn es in der Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils heisst "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände", so kann die Konsequenz nicht der Aufbau eigener, abgeschlossener Communities im Netz sondern, sondern es braucht die Kirche bei den Menschen. In einer pluralen Gesellschaft - und diese Pluralität hat längst auch die katholischen Gläubigen erreicht, wie der Religionssoziologe Michael Ebertz gestern in Kreuz & Quer betonte - braucht es Kommunikations- und Diskursfähigkeit, eine klare Parteinahme für die Marginalisierten dieser Gesellschaft und die Erhaltung unserer natürlicher Lebensgrundlagen, Gespür und Empathie für heutige Lebensfragen und die Offenheit, andere Meinungen auszuhalten. Und das alles kann nur ausgehend von einer eigenen, reflektierten Haltung passieren, die sich klar am christlichen Menschenbild orientiert. Das ist vielleicht auch das, was die österreichischen Bischöfe mit "Auf Christus schauen" am Montag in ihrem Hirtenbrief gemeint haben, ich hätte es vermutlich aber anders, zeitgemässer, formuliert. Der Orientierungspunkt für Christ_innen muss die Praxis Jesu sein - und diese ist eine diskursive Praxis.
Insofern denke ich, dass der Ausbau von Aktivitäten der Kirche im Social Web den "Zeichen der Zeit" entsprechen würde und auch schon begonnen hat. Ausgangspunkt dafür sind für mich aber weniger die Zentralen, sei es der Vatikan oder auch die Diözesanleitungen, sondern vielmehr jene "Organisationseinheiten" der Kirche, wo diese diskursive Praxis alltäglich sowieso schon gelebt wird im persönlichen Kontakt, im Hinhören und im Gespräch: Die Pfarrgemeinden, Bildungshäuser, der auch gerade wieder mal diskutierte Religionsunterricht, die Katholische Aktion und andere kirchliche Basisgruppen, der ganz normale pastorale Alltag.

Ein gutes Beispiel dafür, wie es geht, ist die diese Woche vorgestellt Website Aufbauen-statt-Abhauen, die von Aktivist_innen der katholischen Jugend eingerichtet wurde, und (junge) Menschen dazu einlädt, sich selbst ein T-Shirt zu gestalten, sich damit zu fotografieren und zu sagen, warum sie trotz der aktuellen "Kirchenkrise" bleiben. Ich wünsche mir mehr davon!
Diese Aktivitäten werden sich dann nicht "größte deutschsprachige katholische Internet-Community" nennen, sondern pluraler, diskursiver, vielfältiger sein, was der Begriff "katholisch" von der griechischen Grundbedeutung des Wortes her "das Ganze betreffend, allgemein gültig" auch insinnuiert. Damit entsteht zwar nicht soviel Aufmerksamkeit in den Mainstream-Medien, aber viel eher besteht die Chance, dass "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18,20) auch eine wirklich entsprechende Präsenz im Web2.0 findet. Das wird dann auch deutlich, dass die christliche Botschaft nicht die vorschnellen Antworten sind, sondern vielmehr das Aushalten der Fragmentarität des menschlichen Lebens, hoffend darauf, dass das mehr als neoliberale Geschäftigkeit ist.